Privates soziales Netzwerk oder geschönte Überwachung?

Baby show

Familienbande: Privates soziales Netzwerk - die einen freuen sich, die anderen eher weniger.

Selektive Wahrnehmung, oder nimmt das Thema Überwachung in der Tat derzeit kein Ende? Neben den Missbräuchen, Schludrigkeiten und Sicherheitslücken der Platzhirsche wie Facebook, Google und Apple mit den nutzergenerierten Daten, verschwinden die Bemühungen der ambitionierten kleinen Mittstreiter fast im Rascheln des virtuellen Blätterwalds.

Auf folgende zwei Applikationen wurde ich über meinen RSS-Feed von TechCrunch aufmerksam.

I’mOK – die harmlosere der beiden, lässt sich als privates soziales Netzwerk bezeichnen. Eltern, die sich um das Wohlergehen ihres Sprösslings sorgen, stellen Belohnungen in Aussicht, die der Nachwuchs durch ein Punktesammel-System einlösen kann. Punkte gibt es für das freiwillige Preisgeben von Informationen über Aufenthalt, Tätigkeit oder Photos über die Applikation I’mOK.

ImOK Intro Video – Knowing without the nagging from I'mOK on Vimeo.

Auf diese Weise können die Eltern beruhigt sein, ohne die Kinder nerven zu müssen. Das verspricht zumindest der Dienst. Ich wäre hingegen in meinen jungen Jahren durch so eine Applikation erst so richtig angefressen gewesen und hätte Möglichkeiten ersonnen, dieses System zu unterwandern.

Noch bunter treibt es da Footprints. Diese Anwendung sollte iStalk heissen. Sie geht über das, was Apple mit dem Aufzeichnen der Geodaten bei iPhone und -Pad versuchte, weit hinaus und versucht es unter dem Mäntelchen der Fürsorge zu legitimieren. Einmal eingerichtet, kann der Beobachter die Bewegungen und die Bewegungsgeschwindigkeit des präparierten iPhones in Echtzeit auf einer Karte verfolgen. TechCrunch weist in seinem Artikel darauf hin, dass es durchaus nützliche Einsatzmöglichkeiten für Footprints im Unternehmen geben mag, wenn es darum geht die Ressourcen einer verteilten Mannschaft geographisch sinnvoll zu verwalten.
Die Möglichkeiten zur übertriebenen Überwachung sind aber auch nicht gerade zu vernachlässigen.

Auch dieses System kann unterwandert werden und wenn tatsächlich der Einsatz im privaten Bereich in Erwägung gezogen werden sollte, ist es vermutlich besser, im Vorfeld darüber nachzudenken, was denn den eigentlichen Grund dieser Notwendigkeit überhaupt darstellt.

Little Brother Superstar

Stop Big Brother

Ob jetzt der Grosse oder der Kleine Bruder schaut, ist untergeordneter Natur.

Langsam scheint das Thema Überwachung hier zum Dauerbrenner zu werden, daher die Bezeichnung Superstar. Wiederum trudelte über die mobile Ausgabe der Tageszeitung Der Bund eine Meldung zur Überwachung des öffentlichen Raumes ein.

Videoüberwachung in Echtzeit soll nun in der Schweiz möglich werden. Diese soll allerdings nur zu Sportveranstaltungen stattfinden – vorerst.

Viel interessanter ist aber in diesem Zusammenhang der Entscheid des Bundesgerichts, das im Kanton Bern die live Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen ermöglicht, an denen bereits Straftaten begangen wurden, oder dies zu erwarten ist. Und Letzteres lässt einen gewissen Auslegungsspielraum frei, der die ganze Sache brisant macht.

„Kleiner Bruder“ an schweizer Schulen

Ein weiterer Nachtrag zu Cory Doctorows Science-Fiction „Little Brother„, der mittlerweile in der Realität anzukommen scheint.

Wer sich das packende Werk mit brisantem Hintergrund noch nicht zu Gemüte geführt hat – ich habe mich auf diesem Weblog bereits eingehend damit beschäftigt – sollte dies schleunigst nachholen. Es ist unentgeltlich. Die Auseinandersetzung damit jedoch alles andere als umsonst.

Kurzum: In „Little Brother“ wird ein Überwachungsstaat aus Sicht eines Schülers geschildert, der uns in Bälde zu blühen droht. Gemäss dem Motto: Die Privatsphäre schwindet und gute Manieren entstehen, ereilte mich heute über die mobile Ausgabe der schweizer Tageszeitung „Der Bund“ die Mitteilung, dass nun im Kanton Bern das erste Schulgelände mit Kameras überwacht werden soll.

Der Entschluss wurde aus pragmatischen Gründen heraus getroffen. Die nächtlichen Randalierereien auf dem Gelände waren einfach zuviel des Guten und so sollen die deutlich gekennzeichneten Videokameras eher abschreckende Wirkung zeigen. Ebenso abschreckend ist allerdings auch die Tatsache, dass die Videodaten 100 Tage lang gespeichert werden sollen, was übrigens der Strafantragsfrist bei Offizialdelikten entspricht.

Die Privatsphäre schwindet und gute Manieren entstehen?

Dieser Beitrag passt mir prima zu Cory Doctorows „Little Brother„.
Der private Freiraum geht uns gerade teils freiwillig, teils unfreiwillig Stück um Stück flöten. Ich meine jetzt gar nicht zwingend Facebook, Geodaten, WikiLeaks o.ä. – das beschreibt Larry Bock übrigens recht gut in seinem Artikel Trend Spotting: The Top 9 Rise & Falls We See in the Year Ahead. Er sieht im fortwährenden exponiert sein eine Chance: Wer unter dauernder Beobachtung steht, macht vielleicht keine krummen Dinger mehr? Und er geht sogar soweit, die jetzige Entwicklung mit dem Wilden Westen dereinst gleichzusetzen. Höflichkeit etablierte sich angeblich seitdem aus einer Überlebenstaktik heraus. Nun ist es zwar nicht so, dass das Web nichts vergisst. Im Gegensatz zur üblichen Meinung ist das Gedächtnis des Webs durchaus lückenhaft, aber darauf würde ich mich nicht verlassen. Die Netiquette ist aktueller denn je.
Nun ist das Netz jedoch nicht mehr nur eine Welt, die sich am Computer abspielt. Mit Smartphones ist es mobil geworden und durchdringt unser alltägliches Leben. Nun wird es interessant und wir schliessen den Kreis zu „Little Brother“, den ich eingangs erwähnt habe. In diesem Zukunftsszenario ist die Überwachung allgegenwärtig. Schwänzende Schulkinder können beispielsweise mit einer Applikation für das Smartphone einfach geknipst und bei der Schulleitung angeschwärzt werden. Etwas ähnliches gibt es jetzt schon. Es existieren mehrere Dienste, die wie SeeClickFix Möglichkeiten bieten, die engagierte Bürgerwehr zu mobilisieren.

Schlaglöcher sorgen für Ärgernis.


An sich eine prima Sache, sofern es um so pragmatische Anliegen wie das Flicken von Schlaglöchern oder Reparieren von Parkbänken geht. Aber die Grenze zwischen Nutzen und Schaden ist schnell überschritten. SeeClickFix erlaubt das Erstellen privater Überwachungsgebiete – wie schnell kann hiermit wohl Schindluder betrieben werden? Und funktioniert das mit den guten Manieren dann tatsächlich? Ersinne ich nicht vielleicht eher Möglichkeiten die Überwachung zu unterwandern, sollte ich mich im Visier eines übereifrigen Bürgerwehrlers befinden? Auch bei Little Brother hat die Smartphone-Applikation letztlich die Schulkinder nicht vom Schwänzen abgehalten.

Kleiner Bruder – gratis Sci-Fi von Cory Doctorow

Cover Little Brother

Cory Doctorows Buch spielt in einer nicht allzu fernen Zukunft und in San Franzisko - wie übrigens auch Blade Runner.

Cory Doctorow ist ein kanadischer Science-Fiction-Autor, der unter anderem seit 2001 auch für Boing Boing schreibt. Seine Bücher – auch „Little Brother“ werden unter der Creative Commons-Lizenz (CC-Lizenz) veröffentlicht (wie auch die Beiträge in diesem Weblog). Das englischsprachige Original des spannenden Romans kann auf Doctorows eigener Website in verschiedenen Formaten heruntergeladen werden. Da das Werk frei verfügbar ist und unter einer viralen CC-Lizenz steht, ist es nicht nur von der Fangemeinde in mannigfaltigen Formaten, sondern auch in verschiedenen Sprachen frei erhältlich. Ins Deutsche hat Christian Wöhrl das Buch übersetzt und als PDF verfügbar gemacht. Dieses wiederum hat Fabian Neidhardt als gratis Hörbuch realisiert und das ist absolut hörenswert! Zwar habe ich bis jetzt noch nicht allzu vielen professionellen Hörbüchern gelauscht, mit diesen jedoch kann das Fanbuch allemal konkurrieren.

Die jugendliche Stimme Neidhardts passt ausgezeichnet zum 17-jährigen Erzähler Marcus, a.k.a “w1n5t0n“ oder Mickey. Dieser führt das Leben eines technisch begeisterten Schülers, der sich einen Spass daraus macht, die Sicherheitssysteme an seiner Schule zu seinen Gunsten zu manipulieren. Der Spass hört allerdings auf, als Terroranschläge das Leben in San Franzisko komplett umkrempeln und Marcus – zur falschen Zeit am falschen Ort – selbst der Mittäterschaft beschuldigt und vorübergehend kurzerhand in ein Militärgefängnis verfrachtet wird. Endlich wieder auf freiem Fuss, schwört er Rache und sagt dem nun allgegenwärtigen Überwachungsapparat des Militärs selbst den Kampf an. Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten. Nur eins noch: Im Gegensatz zum grossen Vorbild „Big Brother“ wirkt die kleinere Ausgabe akut bedrohlich, da sie mit viel Technikverständnis geschrieben wurde und nur noch wenige Jahre vom heutigen Tage entfernt stattfindet. Kurzum „Little Brother“ ist brisant, spannend, lustig und nachdenklich zugleich – egal in welcher Form das Werk konsumiert wird.